Gestern Abend war kein Abend wieder jeder andere. Sondern der Abend des Deutschen Computerspielpreis 2014. Das schaue ich mir an, dachte ich und wurde nicht enttäuscht.
Also ab ins Auto und ab Richtung München. Ich parke weit draußen im urbanen Umfeld, weil der Münchener Berufsverkehr mir Angst macht. Die S-Bahn trägt mich zum Postpalast nahe der Hackerbrücke. Eintreffen kurz nach 18 Uhr. Es bleibt ausreichend Zeit für Geländebegehung, Fotoschießereien und Eindrucksaufsauge.
Um 20 Uhr soll der Deutsche Computerspielpreis 2014 (DCp) beginnen. Rund 450 Gäste sitzen im Sechstelkreis vor der Bühne und harren der Dinge, drumherum addieren sich Journalisten und Fotografen auf den Stehplätzen.
Es beginnt schwunglos. Die Moderatorin – irgendeine Pro7-Hübsche, flüstert ein Kollege mir ins Ohr – erzählt wie leicht sie mit ihrem langen Kleid über die Treppe hätte stolpern können, tut es aber nicht und vergibt damit die Chance auf einen Lacher. Es sollte ihre letzte gewesen sein. Die Frau nimmt leider die Schwingungen des Publikums eher diffus wahr und somit freue ich mich fast schon auf das folgende Programm. Ich ließ mich vorab per Begleitbroschüre zum DCp unterrichten: Nacheinander wollen
- Verkehrs- und Technologie-Bundesminister Alexander Dobrindt
- Staatsministerin Ilse Aigner
- Ministerin a.D. und DCp-Mitgründerin Monika Griefahn
das Publikum mit Begrüßungsreden beglücken. Beim DCp ist es also offenbar üblich, das ein Politiker nach dem anderen die Veranstaltung als Bühne zur eigenen Zurschaustellung nutzt. Warum dass bei einer Prämierung für Games so sein muss, entzieht sich meiner Kenntnis und lässt sich auch durch die Art der Finanzierung der Preisverleihung nicht erklären: Der Bundestag zahlt die Hälfte, schrieb vor vier Jahren Die Welt. Mag sein, aber da ich wiederum den Bundestag über meine Steuergelder finanziere und somit auch dessen Beitrag zu diesem DCp, wüsste ich nicht weshalb Politiker diesen Abend für Eigenprofilierung nutzen sollten.
Tun sie aber erstaunlicherweise gar nicht. Im Gegenteil, der Abend gewinnt an Schwung. Alle Politiker sind offensichtlich darum bemüht, dass man ihnen eine gewisse Games-Affinität abkauft. Der eine hat angeblich mal Railroad Tycoon gespielt, die andere zählt sich zur Generation Tetris. Selbst als Alexander Dobrindt seinen ersten Videospiel-Kontakt mit einem Game namens Ping Pong nahelegt, sehe ich ihm diesen Namens-Fauxpax nach. Immerhin lässt er in seinen Worten eine gewisse Realitätsnähe erkennen, dass sein Ministerium die Sachlage einschätzen kann und genug Mut vorhanden ist, um vor versammelter Runde unangenehme Dinge anzusprechen: Nämlich dass die deutsche Spielewirtschaft nach wie vor nur einen losen Kontakt zur Weltspitze pflegt und selbst das bisschen Anschluss zu verlieren droht, wenn die Politik nicht unterstützend eingreift. Monika Griefahn sagt völlig richtig, das man den Aufbau tragfähiger Wirtschaftsstrukturen nicht kostenlos haben und Aufgaben auf Ehrenamtliche abwälzen kann, und fordert öffentliche Gelder. Nur zu!
Am besten gefällt mir Staatssekretärin Dorothee Bär. Ein Knaller. Sieht gut aus, erspart ihren Zuhörern nervtötende Grußkaskaden, erzählt stattdessen Hörenswertes und beantwortet endlich mal die Frage, warum Videospiele ausgerechnet im Bundesministerium für Verkehr gut aufgehoben sind: Nämlich weil man sich dort für das Thema interessiere. Das kaufe ihr ihr sogar ab. Die Bär erzählt von verlorenen Videospiel-Duellen gegen ihren Bruder und dass sie sich jetzt an ihren Kindern dafür rächt, indem sie sie nie gewinnen lässt. Recht so. Ihr zuhören, das macht Freude. Zuschauen auch. Kriegt den Preis für die launigste Rede des Abends, den Preis für die glaubwürdigste Rede des Abends und einen Sonderpreis für Hübscheste Staatssekräterin jemals.
Die anschließende Games-Preisverleihung in sieben Kategorien wirkt auf mich teils eher wie ein Treppenwitz. Für “Bestes Serious Game” kann die Jury nicht einmal die üblichen drei Nominierungen aussprechen und benennt am Ende überhaupt keinen Preisträger. Wieso das Retro-Remake Giana Sisters als “Bestes Kinderspiel” nominiert ist – keinen Schimmer. Und “Bestes deutsches Spiel” wird das 2D-Point´n´Click-Abenteuer “The Inner World” – in einer Kategorie, in der eigentlich eine Produktion aus einer ganz anderen Liga dominiert, nämlich “Crysis 3”. Eine der ganz wenigen deutschen Schöpfungen von Weltrang. Hätte. Gewinnen. Müssen.
Also diese Preisvergabe ist einem Außenstehenden nicht zu erklären, weder mit den Diskussionen um den kulturellen Stellenwert von Videospielen noch bei Berücksichtigung der politischen Facetten einer solchen Veranstaltung. Ist mir völlig Banane, welche pädagogischen, kulturellen oder machtpolitischen Überlegungen so eine Entscheidung begründen. Oder ob und welche Jury-Mitglieder die Entscheidungen anderer Jury-Mitglieder aus welchen Motiven heraus blockieren dürfen. Denn was zählt ist unterm Strich. Wenn der Deutsche Computerspielpreis weder für Gamer noch für die Industrie nachvollziehbar ist, macht er wenig Sinn.
Alexander Dobrindt selbst beschreibt in seinem Grußwort in der DCp-Broschüre den Zweck der Veranstaltung als Fördermaßnahme. Zitat: “Bei einem guten Game geht es um Unterhaltung, beeindruckende grafische Umsetzung und eine professionelle Produktion.” Und trotzdem schlägt der sicherlich charmante, aber keineswegs weltbewegende Underdog The Inner World das Frankfurter AAA-Übergame Crysis 3 aus dem Rennen? Komm schon. Solche Ergebnisse zeigen die Schlucht aus Berührungsängsten, Unsicherheit und Misstrauen, die Spielewirtschaft und Politik nach wie vor trennt. Das muss doch anders gehen. Mit mehr Menschenverstand, bittebitte!
Aber da mein Herz offen gesagt weder an Crysis 3 noch The Inner World so richtig hängt, trage ich die Tragik dieses Moments mit Fassung und freue mich darauf, dass im Anschluss an den DCp noch die LARA-Awards vergeben werden. Auch da wieder, das muss ich schon sagen, setzen die nicht nachvollziehbare Andersbenennung und Trennung zwischen DCp und LARA mehr Wissen um die Entstehung der gesamten Preisverleihung voraus, als man einem Normalsterblichen zumuten sollte. Dem gesunden Menschenverstand folgend, würden beide Preise einheitlich benannt und unter einen Hut gebracht. Aber jedenfalls, bei den LARAs räumen The Last of Us und Zelda als “Bestes internationales Konsolenspiel” und “Bestes internationales mobiles Spiel” ab. Zwei tolle und kluge Produktionen, die sich in die Herzen vieler Millionen Menschen gespielt haben und durch ihre Verbreitung wirklich etwas für den kulturellen Stellenwert von Videospielen tun. Ich hab mich gefreut und nach LARA mit netten Menschen geplaudert. Gelungener Abend, alles in allem. Dass mir am Ende die letzte Bahn wegfuhr und wie ich nach Hause kam – das ist eine völlig andere Geschichte.
P.S.: Welche Spiele in welchen Kategorien gewonnen haben, das lässt sich im Einzelnen zum Beispiel bei Gamestar nachlesen.
P.P.S.: Gratulation an alle Gewinner! Nächstes Jahr will ich The Last Tinker da oben sehen!
P.P.P.S.: Noch etwas Werbung in eigener Sache, man möge mir verzeihen: Obwohl kreativ angelegt, technisch meisterlich, durch schönen Flow geprägt und überhaupt sehr erlebenswert, wurde mein Puzzlegame Anno Domini leider nicht für den DCp nominiert. Du darfst Dich, werter Leser, trotzdem gerne von der hohen Qualität überzeugen. Lade Dir Anno Domini auf Dein iPhone, Deinen iPod oder das iPad. Code by me, Gamedesign Frank Furtwängler, Publishing Ravensburger Digital. Hier klicken, kaufen, mit Freude puzzeln und in den Tag hinein leben, wissend dass der finanzielle Beitrag den Richy bei der Produktion des Mobilspiel unterstützt, das 2016 beim DCp abräumt.