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[german text] Im Oktober 1989 war richtig was los in unseren Breiten. Während die Massen in Leipzig “Wir sind das Volk” skandierten, köpfte ein kleines Team in Haar bei München schon die Korken. Gefeiert wurde die Geburt des Amiga Joker.
Alles Gute zum Geburtstag, lieber Amiga Joker! Du hast im Oktober vergangenen Jahres Deinen 30. Geburtstag gefeiert. Ich freue mich dass ich zu diesem Anlass ein paar Worte schreiben darf. Aber Moment, wer schreibt hier eigentlich? Wenn ich mich kurz vorstellen darf: Mein Name ist Richard Löwenstein und ich durfte diese Spielezeitschrift – die vielleicht großartigste des Universums – hautnah begleiten. War fünf Jahre lang dabei, von September 1991 bis zur letzten Ausgabe im Oktober 1996.
Unternehmen wir also eine kleine Zeitreise und drehen die Uhr zunächst zurück auf Anfang, zumindest aus meiner Sicht. Wie wurde ich Teil des Joker-Clan? Mitte bis Ende der 80er-Jahre kam ich über selbstprogrammierte Spiele und mehrere Listings des Monats für Happy Computer und das 64er-Magazin mit verschiedenen Redakteuren des Markt & Technik-Verlag in Kontakt. Wir trafen uns mehrere Male in München, und irgendwann durfte ich einen Text verfassen: eine Besprechung der Video-Anwendung „Fantavision“ für den Amiga. Nach einer soliden Kaufmanns-Lehre wollte ich weiter über Games schreiben. Es folgten Bewerbungen beim Powerplay-Magazin und dem Joker Verlag. Nicht dass ich den Amiga Joker gelesen hätte, aber das Stelleninserat klang verlockend. Der Joker war schneller und ich offenbar überzeugend. Eigentlich holte mich der Herausgeber und mein damaliger Chef Michael Labiner an Bord, weil er das Schwestermagazin PC Joker starten und aus diesem Grund die Redaktion verstärken wollte. Es stellte sich aber heraus, dass meine Interessen woanders lagen: Ich war totaler Amiga-Fan. Also kümmerten sich mein ebenfalls frischgeschlüpfter Kollege Joachim Nettelbeck um den PC Joker. Ich schrieb für den Amiga Joker. Hurra!
Die Pionierjahre
Michael Labiner hatte den Amiga Joker schon zwei Jahre vorher gegründet, also Ende 1989. Ein visionäres Unterfangen. Denn alle Spielemagazine davor waren anders. Sie befassten sich mit Spielen, ja, aber sie machten keinen Unterschied zwischen den Hardware- Plattformen. Gleich ob Commodore 64, Sinclair ZX Spectrum oder Schneider CPC: Game war Game. Man musste zu der Zeit schon eine ganze Menge Mut zusammen kratzen, um Deutschlands erste Testzeitschrift nur für ein System in die Welt zu setzen. Es war ein Wagnis, sich voll auf den Amiga zu konzentrieren. Denn Ende 1989 hatte sich die Commodore-Kiste noch nicht auf breiter Front durchgesetzt. Das System war zu teuer. Ich kann mich gut erinnern, das ich 1987 mit 3000 Deutschen Mark im Laden stand. Zurzeit meines Einstiegs beim Amiga Joker hatte sich die Situation verbessert, weil Commodore mit dem preiswerteren Amiga 500 Erfolge feierte. Trotzdem blieb die Zielgruppe vorerst überschaubar. Würden sich genug Leser für ein derart monothematisches Medium finden?
Die erste Ausgabe entstand im fast schon familiären Kreis. Das obere Stockwerk eines Zweifamilienhaus in der Unteren Parkstraße in beschaulichen Ort Haar bei München diente Verlag und Redaktion als Hauptquartier. Im Rahmen der Erstausgabe stellen sich sechs Leute vor: Werner Hiersekorn, Michael Labiner, seine Frau Brigitta, Uwe Rönitz, Oskar Dzierzynski und last not least ein Herr namens Max Magenauer. Besagter Max ist auf dem Teamfoto allerdings nicht zu sehen – laut Text weil „einer schließlich das Bier holen müsse“. Später sollte ich erfahren, dass Max sich aus einer ganzen Reihe von Gründen aus dem Rampenlicht raushielt. Max steckte knietief drin in der sogenannten Szene. Ich will nicht sagen, dass er mit Raubkopien zu tun hatte – das hatte jeder in der damaligen Zeit – aber jedenfalls gab es gute Gründe warum Max Magenauer sogar seinen Namen geändert hatte. Wie Max in Wahrheit heißt, das behalte ich für mich – immerhin steht er heute noch mit mehr als einem Bein in der Spielebranche. Vor diesem Hintergrund liegt aber natürlich die Antwort auf die Frage auf der Hand, die mir in den letzten 20 Jahren immer wieder gestellt wurde: Nämlich, wer ist dieser ominöse Dr. Freak, der in seiner Rubrik „Crack“ so vieles über die Szene zu berichten weiß? Das war natürlich Max Magenauer.
Der Anfang war schwarzweiß
So wie Max betreute jedes Mitglied der Redaktion seine Rubrik, sein Steckenpferd. Brigitta zum Beispiel kämpfte jahrelang auf der Girl- Seite für die Rechte der Zockerweibchen. Sie musste so manche Anfeindung der vorwiegend männlichen Leser wegstecken. Oskar wiederum war verliebt in die Rubrik Coin-Op, wo er die neuesten Flipper und Arcade-Spielautomaten vorstellte. Das hatte mit dem Rest des Heftes nicht so irre viel zu tun, und tatsächlich zählte Coin-Op stets zu den umstrittenen Rubriken im Heft. Aber Oskar hatte seinen Spaß daran, dass er sich einmal pro Monat im Depot eines nahegelegten Industrieparks austoben und kostenlos nagelneuen Stoff von Capcom, Sega und Williams daddeln durfte. Und so blieb es dabei.
Trotz – oder vielleicht auch wegen – solcher, eher emotional als sachlich begründeter Rubriken beschleunigte der Amiga Joker vom Fleck weg nach ganz oben in den Kioskcharts. So als hätte ihn jemand von der Zwille katapultiert. Die erste Ausgabe musste sich noch mit 64 Seiten bescheiden, davon war die Hälfte in schwarzweiß. Zwei Jahre später hatten die Ausgabe knapp den doppelten Umfang und war bunt vom Cover bis zur letzten Seite.
Der Amiga Joker fand immer mehr begeisterte Leser. Warum? Weil Michael Labiner bei jedem Wort und in jeder Zeile an die Leser dachte. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch erinnern, das wir kurz nach meinem ersten Arbeitstag führten. Ich hatte gerade meinen ersten Test geschrieben, ein kurzer Text über ein eher unauffälliges Action-Jump ́n ́Run namens „Darkman“. Meine Wertung lag irgendwo in den hohen Siebzigern – unser Wertungssystem basierte auf dem damals üblichen System, wonach 100 Prozent das Nonplusultra darstellen. Michael fragte mich, wie ich das Spiel denn nun fände. Ich sagte ihm, dass ich es heute gespielt und morgen wahrscheinlich vergessen hätte. Er stellte die einzig richtige Frage: „Okay. Du hattest ein kostenloses Pressemuster. Was wenn du deine eigenen 100 Mark für Darkman ausgeben hättest. Wärst du dann zufrieden mit dem Kauf?“. Wäre ich natürlich nicht. Ich korrigierte Text und Wertung entsprechend runter. Dieser eine letzte Satz hat sich mir bis heute eingeprägt. Immer an den Leser denken.
Leserliebe
Der Amiga Joker lebte von Wortwitz, Emotionen und großer Ehrlichkeit. Die Autoren redeten nicht um den heißen Brei drumherum, sondern brachten ihre Eindrücke auf den Punkt. Michael Labiner himself adelte „Shadow of the Beast“ gleich in der Erstausgabe mit den Worten „zeigt was der Amiga wirklich kann“. Dieser Satz entsprach genau den Gefühlen die Amiga-User zu dieser Zeit; eine Zeit in der lieblose Lowcost-Umsetzungen vom Format eines „Wizball“ dominierten. Alle gierten nach Software, die zumindest ansatzweise die Fähigkeiten der Amiga-Hardware demonstriert. Wenn Max Magenauer dann in der Mai-Ausgabe des Jahres 1991 über „Gods“ schreibt, es handele sich um “eine Offenbarung für jeden Action-Fan” – dann verdammt noch mal war das genau so und nicht anders. Dass ich das Shoot ́em-Up „Apidya” drei Ausgaben später mit den Worten umschreibe, es handele sich „ganz einfach um das derzeit beste Ballerspiel für den Amiga“ – dann schwingt da vielleicht sogar ein kleines bisschen Nationalstolz mit. Damals war die deutschen Entwickler noch ganz vorne mit dabei. Einige der besten Amiga-Produktionen aller Zeiten entstanden zwischen Flensburg und München. Die Amiga-Version von „Turrican 3“ zum Beispiel sah ich das erste Mal in der benachbarten Friedenspromenade, wo Julian Eggebrecht von Factor 5 eine Weile lebte.
Die größte Zeit
Die Leser liebten „ihren“ Amiga Joker. Wie sehr, das lässt sich unter anderem an der Menge der Leserpost ablesen. In jeder Ausgabe waren fünf bis sieben Seiten nur für Leserzuschriften reserviert. Eine meiner allerersten Aufgaben beim Amiga Joker war es, jeden einzelnen Leserbrief zu beantworten. Wirklich jeden, ganz besonders die Briefe die nicht abgedruckt wurden. Diese Nähe zu den Lesern spiegelt sich bis heute wieder, beispielsweise wenn man auf der Website kultboy.com Zahlen zur Popularität alter Spielemagazine abruft. Dort können Besucher ihre Lieblinge favorisieren. Der Amiga Joker rangiert seit jeher ganz vorne, noch vor den zeitgenössischen Topmagazinen Powerplay und ASM. Unser Konkurrenzmagazin aus dem Computec Verlag, die Amiga Games, bleibt weit zurück.
Seine beste Zeit hatte der Amiga Joker in den Jahren bis 1994. Was wurden da großartige Spiele besprochen. Das Animationswunder „Another World“ und die Grafiksensation „Lionheart“ holten alles aus den alten Amigas raus. Geoff Crammonds „Formula One Grand Prix“ verwandelte das Wohnzimmer in einer Rennstrecke. Die Bitmap Brothers setzten sich mit „The Chaos Engine“ ein Denkmal, gleiches tat Thalion mit seinem legendären Rollenspiel „Ambermoon“. Mit dem leistungsfähigen Amiga 1200 verband sich die Hoffnung auf noch viel mehr großartige Erlebnisse dieser Art. Heute wissen wir freilich, dass es etwas anders kommen sollte.
Gute und schlechte Zeiten
Wir waren Pioniere und hatten eine gute Zeit. Ich empfand die Arbeit als deutlich angenehmer im Vergleich zu heute. Es gab noch kein Internet und keinen damit verbundenen Druck, der sich aus aktuellen Notwendigkeiten und einer unzufriedenen Community ergibt. Wir führten etliche Wertungsdiskussionen bei schönen Abenden mit Pizza, Schnitzel und Bier im Wirt ums Eck. Es begaben sich viele spannende und witzige Ereignisse. Wir hatten beeindruckende Gäste im Haus. David Perry ist mir zum Beispiel im Gedächtnis geblieben. Mit welcher Begeisterung und mit welchem Charme der Kerl er uns seinerzeit seine Spiele vorstellte, also das war sagenhaft. Auf schräge Art und Weise faszinierend fand ich auch, wie sich das gesamte Team immer wieder gepusht hat, um die aktuellsten Spiele in die Hefte rein zu kriegen. Irgendwann erreichte uns zum Beispiel eine erste Demo des ersten richtigen 3D-Ego-Shooters für Amiga: „Fears”. Das war einen Tag nach Redaktionsschluss. Ich musste Michael beknien, damit wir die Druckerei stoppen und das Thema noch ins Heft kriegen. Hat geklappt, wir waren die ersten.
Doch zwischenzeitlich verpasste Commodore Investitionen in die Zukunft und verrannte sich zwischen den Totgeburten A3000, A500+ und CDTV. Viel zu viele Raubkopien taten ein übriges, dass Spielehersteller das Interesse am Amiga verloren. 1996 war das letzte Jahr des Amiga Joker. Wir taten uns schwer, überhaupt noch genug Themen für 96 Seiten zusammen zu kratzen. In der letzten Ausgabe basiert jeder zweite Test auf Software aus dem Public- Domain-Pool. Es kam kaum noch vollwertiger Stoff nach. Und bald auch keine Amiga Joker mehr. Die Oktober-Ausgabe ́96 war die letzte. Sogar für die Reaktion überraschend, zog Michael Labiner den Stecker. Was kaum jemand weiß: Die PC-Joker-Ausgabe 11/2000 erschien mit einer siebenseitigen Beilage namens “Der endgültig letzte Amiga Joker”. Darin konnten wir uns doch noch von unseren Lesern verabschieden.
Bloß um sie 17 Jahre später wieder zu begrüßen: Gemeinsam mit einigen Ex-Kollegen durfte ich den Amiga Joker anlässlich der Community-Veranstaltung „Amiga 32“ wiederbeleben und eine Sonderausgabe produzieren. Zwei Jahre synchron zur „Amiga 34“ gab ́s ein weiteres Sonderheft. Beide Hefte sind als Printversion erhältlich, die 2017er-Version gibt ́s auch als pdf, und zwar auf www.amigashop.org. Mit Liebe gemacht sind sie alle. Viel Spaß bei der Lektüre!